Die Festrede von Helen Schmid in Gipf-Oberfrick im Wortlaut
(Es gilt das gesprochene Wort)
Liebe Festgemeinde
Es freut mich sehr und es ist mir eine grosse Ehre, heute am Nationalfeiertag in Gipf-Oberfrick zu ihnen reden zu dürfen und meine Gedanken mit ihnen zu teilen. Herzlichen Dank der Trachtengruppe für die Einladung.
Als Julie mich anfragte war ich erstaunt und fragte: Ja warum kommst Du auf mich, es ist ja auch ein Wahljahr. Dann meinte sie, dass sie kein Politiker möchte, sie möchte jemand aus dem Volk zum Nationalfeiertag.
Wir haben dann etwas geplaudert und merkten, dass wir viel Gemeinsames haben. Wir haben beide ein Rucksäckli an Erfahrungen, ein grosses Netzwerk und uns beiden sind die Begegnungen mit Menschen wichtig.
Ich überlegte mir, was ich ihnen heute erzählen soll, und habe mir Gedanke gemacht, was für mich die Schweiz ausmacht. So bin ich zum Schluss gekommen, dass für mich unser Gesellschaftsleben, unsere Traditionen und Strukturen typisch schweizerisch sind. Gleichzeitig fragte ich mich, was denn Tradition für mich heisst. Benötigen wir noch alle Traditionen, wie zum Beispiel unsere Bundesfeiern? Ist unser Gesellschaftsleben immer noch so wie früher? Gerne nehme ich sie in den nächsten Minuten mit in meine Gedanken.
Ich überlege mir, wie unser Zusammenleben in der Schweiz funktioniert, und wie ein Vogel fliegen meine Gedanken über das Schweizerland und sie schauen in die Arbeitswelt der Menschen. Damit unser System funktioniert, braucht es alle Berufe und alle Schichten von Menschen. Es gibt Beamte, die organisieren und verwalten unser ganzes System. Und dann gibt es die Arbeiter, die setzen diese Ideen um. Ich schaue zum Verkaufspersonal, in Lebensmittelgeschäfte, in Kleiderläden und zu den Arbeitenden im ganzen Dienstleistungsbereich. Ich schaue rein ins Gesundheitswesen, in Spitäler und Heime, zu Therapeuten aller Art und Fachärzten. Ich schaue zu den Kindertagesstätten, den Kindergärten, Schulen, Berufsschulen, Universitäten und Erwachsenenbildner. Ich besuche gedanklich Richter und Notare, Gefängniswärter und Reinigungspersonal. Künstlerisch tätige Menschen sehe ich arbeiten an Musikwerken, Theaterstücken oder Instrumenten und als ich mal mit jemandem einen Grabstein auslesen durfte, sah ich durch das trübe Fenster einer Werkstatt, wie ein Steinbildhauer ein Bild in einen Grabstein meisselt. Auch ihn brauchts. Da gibt es auch die Schreiner und Zimmerleute, Baufachleute, Polygraphen und Logisten. Ich schaue in ein Verteilzentrum eines Grosskonzerns, da werden tonnenweise Lebensmittel und Güter angeliefert, die der Mensch täglich braucht, weiterverteilt oder eingelagert. Diese Lebensmittel werden von vielen Köchen zu leckeren Gerichten und Gebäck weiterverarbeitet in Restaurants, Kantinen und Privathaushalten.
Es gibt noch viel mehr, und ich kann jetzt nicht alles aufzählen. Aber wenn man das so sieht, wird einem bewusst, dass es all die Menschen braucht in allen Schichten und sie für ein gutes Miteinander unabdingbar sind. Und dass all die Menschen zu Essen brauchen. Die ganze Bevölkerung hat dieses Grundbedürfnis. Doch woher kommen diese Nahrungsmittel?
Ist uns bewusst, dass alle Nahrungsmittel mit ihrem Rohprodukt, den Ursprung bei einem Landwirt haben? Ohne Futterernte gibt es keine Nahrung für die Nutztiere, wo seit Urzeiten den Menschen Fleisch liefern. Die Ackerkulturen liefern den Rohstoff für ein Grundnahrungsmittel, dem täglichen Brot. Der Zucker aller Süssigkeiten wird aus der Zuckerrübe gewonnen, hinter dessen Feld auch ein Landwirt steht.
Es gibt immer weniger Landwirte, die Unternehmer sind und für immer mehr Menschen Nahrungsmittel produzieren. Über Preise und die Politik möchte ich mich hier nicht äussern, doch eines ist sicher: Bauer und Bäuerin - der wichtigste und vielseitigste Beruf. Ich fühle mich glücklich, als Bäuerin und Landfrau, zum Grundbedürfnis eines jeden Menschen etwas Kleines beitragen zu können, weil die Arbeit der Bauern einen tiefen Sinn hat und persönlich erfüllt, auch wenn es manchmal hart ist. Ich möchte hier nichts beschönigen oder gar romantisieren.
Ja, und in diesem Zusammenhang sehe ich auch die vielen Freiwilligen, welche ehrenamtlich Tätigkeiten leisten; z.B. auch in der Landwirtschaft. Was wäre die Fricktaler Kirschenernte ohne die freiwillige Mithilfe von Freunden und Verwandten? Die Fricktaler Kirschenernte verbindet Generationen, im Waadtland ist dies die Weinlese, in einer anderen Region etwas anders.
Viele von uns haben ein Hobby oder gehen einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Es braucht diese unbedingt, es ergeben sich dadurch viele zwischenmenschliche Begegnungen und Gespräche. Dazu gehört auch, jemandem zuhören oder mal irgendwohin zu begleiten, Nachbarschaftshilfe, ein Engagement in der Dorfgemeinschaft, einander Beistehen in guten und schwierigen Zeiten, denn – Zitat – «Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen».
Denn Zeit, die wir nehmen, ist Zeit, die uns etwas gibt.
In diesem Zusammenhang frage ich mich, was ist denn überhaupt eine Ehre? Denn es gibt Studien, die belegen, dass ehrenamtliche Arbeitsstunden allgemein mehr ausmachen als bezahlte Arbeitsstunden.
Wenn einem etwas eine Ehre ist, dann tut man es in der Regel gerne und man freut sich daran. Dann nimmt man sich Zeit dafür, weil es einem etwas bedeutet. Wenn einem etwas eine Ehre ist, dann fühlt man sich selber geehrt, auch wenn es mit Arbeit verbunden ist, dann kehrt die geschenkte Freude zurück, dann vermehrt sich das, was man teilt, und das tut den Menschen gut.
Durch ehrenamtliche Tätigkeiten wird man nicht reich an Geld, aber reich im Sinne von emotionalem, persönlichem Reichtum.
Also, Zeit, Freizeit – warum nicht einem Ehrenamt nachgehen?
Kürzlich lachte mich von weitem eine Kioskwand mit Heftli und schönen Bilder an und ich ging hin und schaute. Landfreunde, Rezepte vom Land, Land Idee, Mein schönes Land, Gartenideen, Ländlich wohnen, Landgenuss, Bescheiden leben auf dem Land, Natürliche Gärten, etc. Solche Heftli und noch viele mehr, kann man alle haben.
Ich machte mit dem Handy ein Föteli und blätterte ein wenig in diesen Heftli. Da gibts viele Reportagen, wie zum Beispiel:
- Heimat im Glas – Ein Artikel über Wein. In den meisten Heftli gibt es Rezepte der Landfrauen zum Kochen und Backen mit Regionalprodukten
- Selbstgenähtes Wohnglück - Nähanleitungen zum Accessoires selber machen für ein gemütliches Daheim
- Geschenke mit Liebe gemacht, weil jeder ein Stück Heimat braucht - hausgemachte Geschenkideen aus der Küche mit einem natürlichen regionalen Müeslirezept
- In diesem Garten herrscht «laisser faire» – Ein Artikel zum Thema Biodiversität oder ein eigenes Biotop, usw.
Und überall kann man Wissenswärtes über die Natur erfahren, wo man altes Handwerk lernen kann, wo gekocht, Brauchtum gepflegt und gefestet wird.
Im Weiteren ist mir aufgefallen und bewusst geworden, als ich auf der Suche nach einem Kindergeschenk war, dass es in den ersten Kinderbüechli selten ein Computer oder etwas Technisches hat, sondern Büechli mit Tieren, Büechli vom Bauernhof, Bilder von Esswaren und auch die ersten Geschichten und viele Märchen sind auf dem Grundlegensten, auf dem Bauernhof, wo Nahrungsmittel produziert werden, auf der Familie die Geborgenheit und Nestwärme vermittelt, aufgebaut. Also sinnliche Sachen, das, was ein Kind oder ein Mensch braucht zum seelischen Überleben.
Was ist es denn, dass der Absatz dieser Heftli so floriert, nach was sehnen sich die Menschen? Warum sind die ersten Bücher auf dem Grundlegendsten aufgebaut?
Ich bin überzeugt, Heimat, zu Essen und Strukturen haben, ist eine Ursehnsucht, ein Grundbedürfnis von uns Menschen. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben, aber es wird ihm, meiner Meinung nach, zu wenig Bedeutung gegeben heutzutage, in unserer, schnellebigen digitalen Welt.
Um auf meine Frage zurückzukommen, die ich anfangs in den Raum stellte:
Ich denke, es muss nicht nur eine Bundesfeier geben, dass eine gemacht ist und man ein wenig an die Schweizer Geschichte denkt. Alle Feste und Bräuche mit traditionellem Hintergrund geben uns Struktur und es ist auch gut, wenn mit der Zeit gegangen und Anpassungen gemacht werden.
Auch wenn man mit Freunden zu Hause ein Fest macht oder wie heute den 1.August im Dorf zusammen feiert, nimmt man den Geburtstag von unserem Land als Anlass zum sich Treffen, egal ob das zu Hause ist, wo vielleicht Brötchen oder sonst was gebacken und dekoriert wird, oder jetzt hier auf dem Festgelände.
Und alle arbeiten für so ein Fest ehrenamtlich, das gibt als Lohn ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das ist ein gutes Gefühl, wenn man miteinander so etwas organisiert, den Platz einrichtet, die Wirtschaft organisiert und nach dem Fest wieder aufräumt und am Schluss mit dem Erlös z.B. die Vereinskasse aufbessert oder ein Helferfest gemacht wird.
Natürlich müssen wir alle unserer Arbeit nachgehen, um das Leben finanzieren zu können. Aber durch das ehrenamtliche Arbeiten bieten wir Hilfe zur Selbsthilfe und das gibt Sicherheit. In den Städten funktioniert dies gleich in den Quartieren. Wir geben uns gegenseitig Unterstützung, das gibt Vertrauen und zwischenmenschliche Verbindungen und das ist ein grosser Wert für uns Menschen. Ein Wert, den man nicht sehen kann, ein Wert, der uns prägt auf unserem Lebensweg, den man erleben und erfahren muss, denn: Ein Händedruck, einander in die Augen schauen, etwas Zeit haben füreinander, eine Umarmung, kann ein Handy oder künstliche Intelligenz nicht ersetzen, denn – Zitat – Im Grunde sind es doch die Begegnungen mit Menschen, die unser Leben bereichern.
In diesem Sinne noch ein schönes Fest und geniesst das Zusammensein.
Danke für die Aufmerksamkeit